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Flüchtlinge und wir

Die eigenen vier Wände

Tausende Flüchtlinge wollen raus aus Notunterkünften. Aber nicht jeder findet eine eigene Wohnung. In Dortmund haben es 3172 Geflohene geschafft. Wir haben ihr "Neuland" besucht - und erzählen interaktiv die Geschichten hinter den Fotos.

von Katharina Fiedler

Familie Saraj

Oma Raja läuft auf einen Rollator gestützt zum Sofa. Sie setzt sich neben ihre Enkel. Endlich angekommen, endlich wieder ein Zuhause. Mit 70 Jahren, Diabetes, Asthma und Bluthochdruck ist Raja Wees aus Syrien geflohen. Übers Mittelmeer und zu Fuß über den Balkan. In Serbien trugen sie fünf Männer in einem Tuch. In jedem Land, auf jeder Etappe, ein Krankenhausaufenthalt. In Dortmund hat ihre Familie eine alte Hausmeisterwohnung bezogen. Die Möbel aus Massivholz sind ein Geschenk aus einem Nachlass. Und sie erinnern die Familie an den verstorbenen Großvater. Der war Schreiner in Syrien und baute Möbel mit Ornamenten wie auf der Schrankwand im Wohnzimmer. Oma Raja teilt sich ein Zimmer mit den Enkeln. Im Sommer kommt das nächste Enkelkind.

 

Familie Shams/Bozan

Die fünf getrockneten Rosen in der Vase sind noch aus Kobane. Die Tante hat sie nachgeschickt. Damit sie bei der Flucht übers Meer nicht verloren gehen. Avin Shams, 23, und ihr Mann Jihad Bozan, 27, sitzen verlegen auf dem roten Sofa. Sie halten sich die Hände. Nach getrennter Flucht aus Syrien – er zuerst, sie sechs Monate später – haben sie nun ein Nest. Neben dem Bett ein I-Love-You-Herz. Ein Engel auf dem Spülkasten im Bad. Die kleine, rote Küchenzeile. Selbst gekauft. An der Haustür tauscht man Schuhe gegen Pantoffeln aus Stoff. Avin Shams rückt den Wäscheständer zur Seite. Der soll bloß nicht mit aufs Bild. Auf dem Schrank im Wohnzimmer steht ein kurdischer Kalender. Dahinter wieder getrocknete Rosen.

 

Familie Saadoun

Die Bretter neben dem Sofa sind Teile einer braunen Schrankwand. Rezan Saadoun, 31, hat sie an diesem Nachmittag ins Wohnzimmer getragen. Sie passt zu der rustikalen Küche mit den Holzvertäfelungen an der Wand. Saadoun braucht noch zwei Deutschkurse, dann ist er auch in Deutschland Ingenieur. Er will arbeiten. Egal was. Denn die Familie möchte bleiben. Die Nachbarn sind nett. Nur eine, von schräg obendrüber, beschwert sich über Getrampel. Saadoun fragt: Was soll ich machen? Kinder rennen eben. Er wundert sich. Den Kindern geht es hier gut. Kindergarten und Schule liegen in der Nähe. Nur wenn es mal knallt, zuckt Roni, 6, zusammen. Er denkt, eine Bombe explodiert.

Unterstützung: Ariane Dreisbach

 


Mehr zur Hoffnung der Flüchtlinge auf eigene Wohnungen erfahren Sie in dieser Leseprobe aus unserem Magazin "Neuland", das Sie per Mail an christiane.carrivale@kas.de bestellen können.