von Katharina-Luise Kittler



Im März 2016 meldet die Bundesagentur für Arbeit 635.000 offene Stellen in Deutschland. Das sind rund 90.000 mehr als ein Jahr zuvor. Doch nur wenige Arbeitssuchende werden tatsächlich neu eingestellt. „Das liegt vor allem daran, dass der Arbeitsmarkt momentan so wenig planbar ist“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Niemand könne die Entwicklung der Flüchtlingskrise auf lange Sicht einschätzen. Für Berufstätige bedeutet das ein höheres Arbeitsaufkommen. Vier von ihnen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen erzählen, wie sie damit umgehen.
„Wenn ich jetzt einen Übersetzer fest anstelle, weiß ich nicht, ob ich ihn im Herbst noch bezahlen kann.“ – Nada-Marija Bach, Dolmetscherin
Obwohl sie schon seit 35 Jahren als Übersetzerin arbeitet, ist die Flüchtlingswelle eine völlig neue Situation für Nada-Marija Bach. In ihrem Dortmunder Dolmetscherbüro bietet Bach vor allem Übersetzungsdienste für Balkan-Sprachen und Arabisch an. Seit Sommer 2015 hat sie 60 Prozent mehr Aufträge. Das große Arbeitsaufkommen löst die Dolmetscherin mit Freiberuflern, die sie kurzfristig für Übersetzungen beauftragt. Momentan arbeitet sie nur mit zwei Festangestellten.


„In Stoßzeiten musste ich bis zu 100 neue Leute einstellen.“ – Murat Sivri, Leiter einer Erstaufnahmeeinrichtung
Sozialarbeiter für die Erstaufnahmeeinrichtung Buschmühle in Dortmund zu finden, das war für Murat Sivri im vergangenen Jahr eine große Herausforderung. Um an geeignete Leute zu kommen, schickte er Stellenanzeigen an die Bundesagentur für Arbeit und ans Jobcenter Dortmund. Doch der Markt war wie leergefegt – und ist es noch heute.
„Durch die Flüchtlingskrise helfen uns viele Ehrenamtliche bei der Gründung.“ – Madita Best, Gründerin von „Daheim“
Madita Best hat die Flüchtlingskrise genutzt, um sich selbstständig zu machen. Zusammen mit ihren Mitgründern entwickelte sie eine Videotelefonie-App, die Flüchtlinge mit deutschen Muttersprachlern zusammenbringen soll. So sollen die Neuankömmlinge schneller die Landessprache lernen. Werbung auf der Website soll künftig vier Festangestellte in Duisburg finanzieren.


„Ich nehme nur Flüchtlinge an, die eine reale Chance auf ein Bleiberecht haben.“ – Necla Bahceci, Anwältin für Asylrecht
Als Anwältin für Asylrecht vertritt Necla Bahceci seit Sommer 2015 rund 50 Prozent mehr Mandanten. Die Flüchtlinge wenden sich mit Ablehnungsbescheiden an die Dortmunder Anwältin. Bahceci wählt ihre Mandanten streng aus, denn nicht alle Flüchtlinge bekommen Prozessbeihilfe und können sie bezahlen.
Warum die Flüchtlingskrise kein Konjunkturprogramm ist
Zwei Fragen an Enzo Weber, Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg
Herr Weber, warum werden trotz der Flüchtlingskrise viele Leute nur befristet eingestellt?
Viele Unternehmen müssen sich genau überlegen, wie sie mit ihrer Personalpolitik umgehen. Dabei sollte man vor allem zwischen kurzfristigen und mittelfristigen Stellen unterscheiden. Temporär brauchen wir zum Beispiel mehr Wachpersonal oder Essenslieferanten, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen arbeiten. Aber dort bleiben die Flüchtlinge nicht lange.
Wie wird sich der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten in Bezug auf die Flüchtlingskrise entwickeln?
Die Jobs für die Erstversorgung der Flüchtlinge werden zurückgehen, da momentan nicht mehr so viele Menschen nach Deutschland kommen. Das heißt, die Einrichtungen werden ihr Personal stark zurückschrauben und die Nachfrage wird sich normalisieren. Chancen gibt es hingegen für Jobs, die mittelfristig gebraucht werden. Dazu gehören vor allem Lehrer und Erzieher.
